Die Haare meiner Großmutter waren blau. Silberblau. Und wenn ich mich recht erinnere, war das der letzte Schrei für alle silbrig- und weißhaarigen Damen damals in den 80ern. 

Man bedenke auch: Meine Großmutter hatte schon mit 40 Jahren grau-weiße Haare. Und da ist so eine bläuliche Waschung auf jeden Fall cool. Also, ich persönlich würde es machen. Aber ich schweife ab. 

Meine Oma ging also einmal alle zwei Monate zum Friseur, ließ sich ihre relativ kurzen Haare wieder nachschneiden und silbrigblau tönen. Es sah absolut wunderbar aus und ich habe es geliebt. Für mich war es das Natürlichste auf der Welt, dass meine Oma blaue Haare hatte – ich kannte sie ja nicht anders und dachte mir rein gar nichts dabei. Wenn mich jemand fragte, antwortete ich eben ganz genau das: Meine Oma hat blaue Haare. 

Mir ist schon klar, dass nicht alle Großmütter silbrig-blau waren und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Großmütter der Generation der danach eher ihre eigene Farbe färbten als Silbertöne. Aber die Haare meiner Oma haben mich mit der Zeit so einiges gelehrt: 

Habe Deinen Stil

Und steh dazu! Von der Stange oder maßgefertigt. Dunkle Farben oder helle. Statement-Teile oder Basics oder beides. Blaue Haare oder Schwarze oder blonde. Pony, Bob oder Mähne. Du bist Du – und das ist wundervoll! 

Es ist unsere Entscheidung

Meine Oma hatte sicher nicht das einfachste Leben. Sie verlor ihr erstes Kind am plötzlichen Kindstod, ihr Mann war in Russland gefangen genommen worden während dem zweiten Weltkrieg, das Haus in dem sie aufgewachsen ist, wurde beschlagnahmt und sie musste zu Verwandten ziehen. Und ihre eigene Mutter verlor sie mit bereits 17 Jahren unter tragischen Umständen. Nach dem Krieg war das Leben natürlich bedeutend einfacher, aber sie musste sich um den Haushalt kümmern, um ihren Vater, um ihre zwei Kinder, war für alles verantwortlich – und später kümmerte sich sich liebevoll um ihre Enkel. Und sie sah immer schick aus. Sie hatte seit ihre Haare grau bzw. Weiß geworden sind, diese tolle Welle drin und diesen bläulichen Schimmer. Sie achtete sehr auf ihr Äußeres und hatte eine fabelhafte Ausstattung an maßgeschneiderten Mänteln, Kostümen und Kleidern – die sie schon jahrzehntelang hatte. Qualität ging immer über Quantität. Und das war sie – sie wollte allen Widrigkeiten zum Trotz gepflegt und wunderbar aussehen – und das tat sie. Das war die Version von sich, die sie sein wollte. Es ist unsere Entscheidung wer wir sein wollen und wer wir durch alle Schwierigkeiten hindurch sind. 

Urteile nicht vorschnell

Obwohl natürlich auch noch andere Damen ihre Haare silbrig-blau tönen ließen in den 80ern und 90ern und es nicht ganz so unüblich war, finde ich es immer noch bemerkenswert wie Kinder andere Menschen einfach akzeptieren können – genauso wie sie sind. Ohne darüber zu urteilen. Mit den Medien und den verschiedenen Gruppenzwängen und Subkulturen wird es immer schwerer, nicht zu urteilen oder zumindest kein Vorurteil zu haben bzw. zu treffen. Unsere wichtigste Aufgabe erscheint mir offen zu sein, jeden als gleichwertig und wunderbar anzusehen und genauso als Teil des großen Ganzen wie wir es selbst sind. Vorschnelles Urteilen ist der Anfang von viel Leid – sowohl uns selbst als auch anderen gegenüber.